Hörern den Umgang mit Regers Kompositionen so schwer macht: die oft wie im ungezügelten Schaffensrausch übereinandergetürmten Akkordgebilde, die nur vom Notenbild her nachvollziehbaren Linienführungen, die unmäßigen Stimmverdopplungen und ähnliches mehr. Doch auch die Interpreten scheuen oft die Beschäftigung mit einer Musik, die zunächst einmal zerlegt sein will, um verstehbar und interpretierbar zu werden. Alle diese Vorbehalte verhindern die Pflege des unbestreitbar großartigen Teils des CEuvres, der nur von manchen Maßlosigkeiten in Misskredit gebracht wird. Dass eine höchst unkonventionelle Lebensführung diesen Künstler, genährt durch eine Vielzahl einschlägiger Anekdoten, eher als urwüchsigen Kauz denn als Verfasser subtilster Kompositionen in unserem Bewusstsein verankert hat, bestärkt nur die Kritiker, deren Argumentation bis auf Regers Zeit in München zwischen 1901 und 1906 zurück reicht; Kritik aus dem Kreis der als ,,Münchener Schule" bezeichneten Musiker um Ludwig Thuille und den Kritiker Rudolf Louis, die freilich sicher nicht heftiger als andernorts und eher mit einem unübersehbaren Respekt verbunden war, der dem rastlosen Reger selbst dann nicht verwehrt wurde, wenn wieder einmal einer seiner heftig bis maßlos herausgeschleuderten Angriffe die Kampfeslust eines selbstbewussten, um Anerkennung ringenden Künstlers dokumentierten. Anders ist es nicht zu erklaren, dass in der Ausgabe des ,,Riemann" von 1900 bereits zu lesen ist: ,,Zu einem bedeutenden Komponisten scheint sich Max Reger auszuwachsen" - eine Art Ritterschlag. Wenn je bei einem Komponisten von einer Sturm- und Drangzeit zu reden ist (Reger nannte sie seine „Sturm- und Trankzeit"), dann gehören jene Münchener Jahre Regers mit den großen „Durchbruchswerken" dazu.
Von dieser schon fast skandalösen Ausgrenzung ist auch das höchst umfangreiche Klavierschaffen betroffen. Das hat freilich nicht zuletzt damit zu tun, dass die großen Stücke dieser Werkgattung nicht nur bezüglich ihrer geistigen Dimensionen, vielmehr auch schlicht wegen ihrer die Konstitution des Pianisten fordernden Anlage von den meisten Künstlern gemieden werden. Die Vielzahl der wertvollen kleineren Werke, die sich in der Menge zwar gut gearbeiteter, doch oft unpersönlicher Stücke finden, die Reger unter Namen wie Skizzen, Aquarelle, Silhouetten, Bunte Blätter u.a.m. veröffentlicht hat, bleiben dagegen als vermeintlich uninteressant zumeist unbeachtet - völlig zu Unrecht, wie sich bei einer sorgfältig angelegten Auswahl und Interpretation rasch herausstellt. Sie können gleichartigen Stücken etwa von Schumann durchaus zur Seite gestellt werden. Nicht nur die grandiosen Variationenzyklen der späteren Jahre (was bei dem früh gestorbenen Max Reger mit 30 Jahren der Fall war), auch manche der schon früh entstandenen Stücke weisen Reger als den „letzten großen Romantiker der Klaviermusik" aus -eine Klassifizierung, die freilich mit Einschränkungen zu versehen ist. Klaus Wolters hat auch dingfest gemacht, worin die Problematik der Klaviermusik Regers für Pianist und Hörer besteht: Der innere Zugang zu Reger ist nicht leicht zu finden, und er hat auch zu keiner Zeit eine breite Anhängerschaft gefunden. Der Spieler hat zunächst die Hürde eines meist ziemlich verworrenen, engmaschigen Klaviersatzes von ungewohntem Aussehen zu nehmen, der Hörer eine zwar rein tonale, aber durch vielfältige Vorhaltsbildungen, Trugschlüsse und Modulationen auf engstem Raum schwer zu verfolgende Harmonik zu verdauen, eine in kleinste Bildungen zersplitterte, stark polyphon durchsetzte Melodik, die dank unregelmäßiger, erweiterter oder verschränkter Periodik noch ungewohnter und schwerer erfassbar wirkt. Und doch - all diese Kompliziertheit wirkt nicht wie eine Maske von Gelehrsamkeit, sondern in den gültigen Werken als echte, vitale und ganz persönliche Aussage.
Die so charakterisierten Eigenschaften lassen kaum erwarten, dass nun plötzlich eine Regermania ausbricht. Doch steht zu erwarten, dass mit zunehmender Distanz und der Gewöhnung an die tonalen Neuerungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts der Musik dieses Solitärs an der Nahtstelle von ausgehender Romantik zur Atonalität die ihm gebührende Beachtung geschenkt wird - die Reger ausgerechnet vom Kreis um Schönberg wohl wegen seiner bis an die Grenzen der Tonalität gehenden Modulationen gezollt wurde; Max Reger war der mit Abstand meistgespielte Komponist in den Konzerten von Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen". Dass er, der Schönbergs Weg aufmerksam registrierte, dennoch den Weg in die Atonalität nicht mitgehen wollte (oder konnte), hat - darin ähnlich Brahms - mit seinen restaurativen Bindungen an das Erbe der Vorgänger zu tun. Nur so ist zu verstehen, dass er, der sich mit seiner freien Tonalität und „unkonventionellen" Tonartwechseln dicht am Absturz in die Atonalität bewegte, zu Schönbergs „Drei Klavierstücken op. 11" feststellte: „... da kann ich selbst nicht mehr mit... 0 es ist zum Konservativwerden!"
Regers kompositorisches Schaffen musikhistorisch einzuordnen und angemessen zu bewerten ist außerordentlich schwer und es sieht so aus, als müsste noch einige Zeit vergehen, bis manche der Irrwege des 20. Jahrhunderts als Sackgasse erkannt sind. Dann könnte es zu einer Renaissance reichen für einen Komponisten, der nicht mehr wirklicher Romantiker war, auf seine Weise modern, jedenfalls ein Künstler des 20. Jahrhunderts. Noch jedoch harrt Regers Werk der längst überfälligen Rehabilitierung. Die wird freilich nicht gerade begünstigt durch eine der aktuelleren Veröffentlichungen, über die sich - zurecht - K.J.Schmitz auslässt: „... die jüngste Monographie Rainer Cadenbachs bringt wegen der ausgedehnten psychologisch und soziologisch sezierenden Begründungen für Regers unterschiedliche Schaffensweise und Kompositionsart - er hält ihn für körperlich, geistig und seelisch krank - mehr Verwirrung als Klarheit....und das ist die kaum verschleierte Absicht, Reger trotz aller Bewunderung seines Könnens an den Rand des Absonderlichen zu schieben und auf eine präzise musikgeschichtliche Deutung seines Schaffens zu verzichten. Ohne jeden Anspruch auf Endgültigkeit muss folgendes gesagt werden: Reger hat das musikalische Handwerk beherrscht und angewandt wie keiner seiner Zeitgenossen und kaum jemand nach ihm." Sehr viel sorgfältiger und einfühlsamer hat sich Susanne Popp, die Leiterin des Max-Reger-lnstituts im MGG mit der Materie auseinandergesetzt.
In Kürze noch ein paar Lebensdaten, um die zeitliche Einordnung des Programms zu erleichtern: 1873 in Brand/Opf. geboren, aufgewachsen in Weiden, Klavierunterricht bei Adalbert Lindner, ab 1890 Musikstudium bei Hugo Riemann, zunächst in Sondershausen, später in Wiesbaden, am dortigen Konservatorium bald auch als Lehrer für Orgel- und Klavierspiel tätig, ab 1893 mit Lehrauftrag für Satzlehre und ab 1895 als Nachfolger Rie-manns Lehrer für Musiktheorie. Nach einer Serie depressiver Phasen, einhergehend mit exzessivem Alkoholismus kehrt Reger, finanziell ruiniert, in das Weidener Elternhaus zurück und wird dort von seiner Schwester Emma wieder „konditioniert" mit der Folge eines ungeahnten Produktivitätsschubs. 1901 erfolgt der Umzug in das „feindliche" München. Die Heirat mit einer geschiedenen Protestantin führt zu großen Zerwürfnissen in der katholischem Familie Reger, ermöglicht aber auch die Lösung von der bevormundenden Schwester. 1907 wird Reger zum Universitätsmusikdirektorin Leipzig berufen, 1911 zum Leiter der Meininger Hofkapelle. Auf einer der zahllosen, die Gesundheit überfordernden Konzerttourneen stirbt der vielfach geehrte Max Reger in einem Leipziger Hotel.
Variationen und Fuge über ein Thema von Beethoven op. 86
Die Form der Variation nimmt im orchestralen wie im pianistischen Schaffen Max Regers einen großen Raum ein, womit eine Tradition fortgeführt wird, die seit Bach über Beethoven und Brahms mit großartigen Werken einen bleibenden Platz im Repertoire auch unserer Tage errungen hat. Doch hat bei den vierhändigen Variationswerken für zwei Klaviere nicht allein der kompositorische Aspekt im Vordergrund gestanden: Als ausübender Pianist konzertierte Reger gern zweiklavierig, oft Bearbeitungen Bachscher Werke, bevorzugt aber eigene Originalkompositionen. Willi Jinkertz, einer seiner häufigen Partner berichtet anschaulich von der oft „großzügigen" Liebe, mit der sich Reger seinen eigenen Schöpfungen am Flügel widmete -und (so bei einer Probe zu den Beethoven-Variationen) auch schon einmal beim Spielen einschlief. Und auch in den Briefen Regers ist oft von seinen „Zweiklavierigen" die Rede. „Jetzt arbeite ich hier an ... den Variationen und Fuge über ein Thema von Beethoven für zwei Klaviere zu vier Händen Op. 86", lesen wir in einem Brief an den treuen Freund Sträube in Leipzig vom 20. August 1904 und ein paar Wochen später schon kündigt er demselben Empfänger an, er werde das neue Werk in Leipzig im November aufführen. Bereits am 22. Oktober 1904 jedoch wagte sich Reger mit August Schmid-Lindner in München vor das ihm gegenüber ja nicht gerade nachsichtige Publikum - und siegte auf ganzer Linie. Ob es der insgesamt Aufbruchstimmung verbreitende Schwung oder die triumphale Schlussfuge war, die den Beifall des Publikums fand, mag dahingestellt bleiben; denn die alles andere als leicht durchschaubare Struktur und die nach gängigen Vorstellungen kaum folgerichtige Harmonik haben jedenfalls das Publikum eher verstört - und tun es in abgeschwächtem Ausmaß noch heute.
Kühn in der Tonsprache und gewaltig in den Ausmaßen präsentiert sich uns eines der großartigsten Variationenwerke, das am Ende die eher unscheinbare Keimzelle, das Thema der letzten der Bagatellen op. 119 von Beethoven, in den Hintergrund treten lässt. (Hanns Eisler könnte dasselbe Thema zum Beginn seiner DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen" angeregt haben.) Die Variationen beschränken sich nicht nur auf figurative, rhythmische oder harmonische Veränderungen, wie sie in der vorklassischen Variationstechnik vorgezeichnet sind; Reger unterwirft das Thema vielmehr auch Charakterveränderungen im Sinne romantischer Variationspraktiken. So entstehen dem Zuhörer zwölf in ihrem charakteristischen Gewand höchst unterschiedliche Abschnitte, die abgeschlossen werden von einer sich mächtig steigernden Fuge, aufgebaut auf einem reichlich komplizierten Thema, dessen Verfolgung nicht ganz leicht ist. Ein bravouröses Stück mit erheblichen spieltechnischen Problemen.
Variationen und Fuge über ein Thema Von Johann Sebastian Bach op. 81
„...werde ich Ihnen, um Ihnen ein kleines sichtbares Zeichen meines aufrichtigsten Dankes zu geben, mein neuestes Werk für Klavier solo dedizieren", schreibt Reger an den Pianisten August Schmid-Lindner im April 1904 und an den treuen Freund Karl Sträube im August desselben Jahres: „Ich habe jetzt vor acht Tagen übergeben mein Op. 81 Variationen und Fuge über ein Thema von J.S.Bach für das Pianoforte zu zwei Händen - das Beste was ich bisher geschrieben habe...". Die eigene Einschätzung war nicht überzogen, denn das Werk zählt auch aus heutiger Sicht zu den großartigsten Stücken des Genres, „den bedeutend-
sten Schöpfungen dieser Gattung zur Seite zu stellen!" Und Wolters, von dem diese Einordnung stammt, weiter: „Reger knüpft an die Variationentechnik Schumanns an, indem er sich nur vereinzelt an den strikten Themenablauf hält, sonst aber gern in freier Form darüber phantasiert. Die Ausdrucksbereiche des Werkes reichen von virtuoser Spielfreude bis zu erhabener Tiefgründigkeit, einer Sublimierung des Klanges, wie sie wohl seit dem späten Beethoven kaum mehr gefunden worden war. Der erste Anblick des Notenbilds mit seinem überreich befrachteten, äußerst komplizierten Satz mag abschreckend wirken. Und doch ist es ein echtes Klavierwerk und ganz aus dem Geist des Instruments geschrieben. Zu lernen allerdings eine sehr harte nuss!" Da nimmt es kein Wunder, dass sich die Pianisten gerne um das Werk mit seinen extremen Anforderungen an Spieltechnik und Kondition drücken.
Serie der „kleineren" Stücke: aus „Lose Blätter" op. 13 / Humoresken op. 20 / Blätter und Blüten o.op. / Bach-Transkription / Fantasie „An der schönen blauen Donau"
Eine Serie unterschiedlichster Charakterstücke ist unter dem Titel „Lose Blätter" zusammengefasst, schnell hingeworfene Miniaturen ohne tiefere Bedeutung aber auch solche wie den knappen „Danse des paysans" (Bauerntanz), der bereits die sichere Handschrift des heranreifenden Schülers von Hugo Riemann zeigt, dessen Sohn Hans die 1894 entstandene Serie gewidmet ist.
Wohl zum Besten aus Regers Frühzeit gehören die fünf Humoresken op. 20 aus dem Jahr 1898, Stücke in eingänglicher Tonsprache, harmonisch nicht so überladen wie die ersten großen Orgelwerke jener Zeit. Die beiden ausgewählten, sehr knapp und konzentriert gearbeiteten Stücke dieser Serie tragen einen keck-vitalen Charakter, jeweils mit einem beruhigenden Mittelteil versehen. Das errste leichtfüßig, das mit „Prestissimo assai" überschriebene dagegen eher derb. Wenn diese Stücke, wie alle der kleinteiligen Stücke in Periodika veröffentlicht und zum hausmusikalischen Gebrauch angeboten waren, dann setzte Reger freilich einen spieltechnisch versierten Laien voraus. Dennes sind weit über das traditionelle Charakterstück und den kommerziellen Anlass hinaus diffizile Gebilde, die nicht nur eine einfühlsame Musikalität, mehr noch eine virtuose Spieltechnik und einen differenzierten Anschlag erfordern.
Am zweiten Weihnachtstag 1900 schreibt Reger an Wilhelm Lamping, den Leiter eines Gesangsvereins: „Für Zeitschrif-ten schreibe ich insofern nicht ungern, weil dadurch der Name ein bißchen unter die Leute kommt, außerdem werde ich ja ganz nett honoriert dafür. Man kann sich ,ausruhen' dabei." Was Reger in einem anderen Brief an denselben Adressaten beklagt („Ich muß nun für drei Zeitschriften Notenbeilagen liefern ...") ist in Wahrheit für den nach Anerkennung strebenden Komponisten ein willkommenes Vehikel, sich bekannt zu machen. Zu diesen Arbeiten gehört auch die später als Sammlung ohne Werknummer zusammengestellte Serie „Blätter und Blüten", aus der die für Regers späteres Schaffen völlig untypische, nachdenkliche „Melodie" stammt.
Mit Übertragungen der Orgelwerke von Bach auf das Klavier - zweihändig sowie vierhändig - hat sich Max Reger bereits in seiner Zeit in Wiesbaden beschäftigt. In einem Brief vom Juni 1895 an den befreundeten Ferruccio Busoni, der sich ja ebenfalls intensiv mit derlei Transkriptionen auseinandersetzte, lesen wir: „In spätestens vier Wo-chen erscheinen von meinen Bach-Bearbeitungen (zwei-händig) zwei Stücke, die ich Ihnen sogleich zusenden werde." Und an den Lehrer und Freund Adalbert Lindner schreibt er im Mai 1896: „Was von den Bach-Arrangements erscheint? - Also: Präludium und Fuge D=dur für Pianoforte zu zwei Händen übertragen von Max Reger bei Augener & Co London ... am 1. Oktober Präludium und Fuge in E=moll ... alles zu vier Händen. Am 1. Dezember dasselbe zu zwei Händen." Es mag der Überschwang jener Wiesbadener Zeit gewesen ein, der Reger veranlasste, sich für eine Übertragung gerade dieses, in der Fuge höchst virtuose Werk aus Bachs späten Leipziger Jahren ausgesucht zu haben.
„Sodann werde ich in Tegernsee hoffentlich dazu kommen, noch etwas Urfideles zu schreiben: nämlich den ,Donau-walzer' von Strauß für .Konzertzweck' für Klavier zu zwei Händen ,zu bearbeiten'!" Als Reger dies im Juli 1911 an seinen Hamburger Freund Hans von Ohlendorff schrieb, erinnerte er sich offenbar nicht mehr daran, dass er ein solches Werk bereits 1898 nach seiner Rückkehr aus Wiesbaden nach Weiden geschrieben hatte. Das als „Improvisation" bezeichnete Werk, das nur so strotzt von spieltechnischem Übermut, ist „Frau Teresa Carenno [sic] verehrungsvollst gewidmet", jener legendären Klaviervirtuosin zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Schutzrechte der Werke von Strauß verhinderten zunächst die Drucklegung dieses in der Tat „urfidelen" Stücks, das den größtmöglichen Kontrast bildet zur vorangegangenen Bach-Bearbeitung.
Introduktion, Passacaglia und Fuge op. 96
„Es ist mir ganz unmöglich, eine Analyse meines Op. 96 zu geben; mit kurzen Worten ist ja gar nichts gesagt; und zu
Eine übermäßige Konzerttätigkeit, verbunden mit einer Vielzahl von nächtlichen Eisenbahnfahrten, dazu die andauernde nervliche Belastung, „niedergekämpft" mit alkoholischen Auswüchsen, führten im April 1906 zu einem körperlichen Zusammenbruch mit einer mehrwöchigen Arbeitspause. Im September erschien dann als erstes größeres Werk nach diesem Vorfall „Introduktion, Passacaglia und Fuge" op. 96 mit einer Widmung an die Kölner Pianistin Henriette Schelle, von Reger liebevoll seine „Patentklingel" genannt, die viele seiner Werke auf die Bühne brachte.einer langen, ausführlichen Geschichte - na, das kann ein anderer machen - ich selbst hasse diese ,musikalische Trichinenschau'!" Der Münchener Musikjournalist Richard Braungart wurde mit diesen Worten auf sein eigenes Urteil verwiesen. Das konnte er sich dann auch rasch bilden, denn das neue Werk erntete sofort große Beachtung und wurde überall in die Konzertprogramme aufgenommen. Reger selbst spielte es nicht nur immer wieder mit der Berliner Pianistin Frieda Kwast-Hodapp, auch der berühmte Alexander Siloti präsentierte mit ihm das Stück in St. Petersburg.
In seiner Großartigkeit den Bach-Variationen in der zweihändigen Klavierliteratur ähnlich, ist „Introduktion, Passacaglia und Fuge" op. 96 den großen Werken dieses Genres wie Brahms' Händel-Variationen gleichrangig zur Seite zu stellen. Nicht ganz ohne Grund wird es gelegentlich als „Opus Magnum" in Regers Klavierschaffen bezeichnet, wenn gleich es immer im Schatten der populäreren Beethoven-Variationen gestanden hat. Dabei ist die Variationenreihe, in Passacaglien-Manier über einen ostinaten Bass, durchaus reizvoll figurativ angelegt und in reicher Polyphonie, fast schon orgelmäßig empfunden, ausgeführt. Wenn gleich zu Beginn der Introduktion die Akkordmassierungen im dreifachen Forte unmittelbar auf das dreifache Piano des zweiten Taktes prallen, dann wird hier eines der Merkmale deutlich, mit denen sich ein Pianist auseinanderzusetzen hat, der Reger aufführt: die extreme Bandbreite dynamischer Abstufungen, nachzuhören in der abschließenden Fuge, die im vierfachen Piano beginnt und sich bis zum vierfachen Forte aufschwingt - orgelgerecht gedacht: volles Werk.
(mit freundlicher Genehmigung das Autors)
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